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Aus dem Buch:

Richard Rohr, Andreas Ebert: Das Enneagramm. Die neun Gesichter der Seele. Claudius Verlag, Muenchen 1989, 23. Aufl. 1994.

Typ Vier...

Vierer setzen ihre Gaben dafuer ein, in ihrer Umgebung den Sinn fuer Schoenheit und Harmonie zu wecken. Sie sind hochsensibel und fast immer kuenstlerisch begabt, so dass sie ihre Empfindungen in Tanz, Musik, Malerei, Theaterspiel oder Literatur ausdruecken koennen.

Alles, war Lebensenergie hat, zieht sie an; sie erfassen die Stimmungen und Gefuehle anderer Menschen und die Atmosphaere von Orten und Ereignissen mit seismographischer Genauigkeit.

Vierer sind von Natur aus oekumenisch ausgerichtet; die Aufspaltung der Welt in "sakral" und "profan" lehnen sie ab. Im Bereich des Unbewussten, der Symbole und Traeume sind sie mehr zuhause als in der realen Welt. Symbole helfen ihnen, bei sich zu sein und sich auszudruecken. Sie haben auch die Gabe, anderen zu helfen, einen Blick fuer das Schoene und fuer die Welt der Traeume und Symbole zu entwickeln.

Auch die Vier bezieht ihre Lebensenergie von anderen. Ihre Lebensfrage lautet: "Was denkt ihr ueber mich? Bemerkt ihr mich? Falle ich auf?" Die Vier strebt danach, aesthetisch anziehend zu sein, etwas Besonderes zu sein und kreativ oder in manchen Faellen sogar esoterisch, exzentrisch, extravagant oder exotisch zu erscheinen.

Aber der Stil und die "Spontaneitaet" einer unerloesten Vier haben etwas Gekuensteltes. Eine Vier kommt aus ihrem Zimmer und sagt: "Ich habe mir schnell ein paar Klamotten uebergeschmissen." In wirklichkeit handelt es sich um sorgfaeltig gewaehlte Effekte. Sie hat sich die Kombination (oder Nicht-Kombination!) der Kleider und Farben gezielt zusammengestellt, um sich von anderen abzuheben.

Das Leben der Vier wird primaer von Sehnsucht bestimmt: es ist die Sehnsucht nach dem Schoenen und danach, dass sich die Welt und das Leben zu einem harmonischen Ganzen zusammenfuegen. Dostojewski hat einmal gesagt: "Die Welt wird durch Schoenheit gerettet werden!" Eine Vier glaubt an diesen Satz.

Vierer haben haeufig in ihrer fruehen Kindheit die Erfahrung gemacht, dass die Gegenwart unertraeglich und sinnlos ist. Sehr oft hing das mit einem sehr schmerzhaften Verlusterlebnis zusammen. Dieser Verlust kann real gewesen sein (Tod eines Elternteils; uneheliche Geburt; Scheidung; Umzug und Entwurzelung: ein Elternteil kommt und geht: ein Kind wird geboren oder vorgezogen etc.) oder er wurde "nur" emotional empfunden. Positive Rollenmodelle haben zum Teil gefehlt. So hat sich das Kind auf der Suche nach Identitaet notgedrungen seiner eigenen Innenwelt zugewandt. Weil die urspruengliche Liebesquelle fehlte oder zu schwach war, mussten in der Phantasie neue Liebesquellen geschaffen werden. Die Sehnsucht der Vier richtet sich auf jene verlorenen Liebe, ist Heimweh und Fernweh zugleich. Sie wartet auf den Tag, wo die grosse Liebe (zurueck)kommt und ist ueberzeugt, dass die grosse Liebe sie erloesen wird.

Der Zorn wegen des erlittenen Verlustes sitzt unter Umstaenden so tief, dass er nicht zugelassen werden kann. Statt dessen hat ihn die unerloeste Vier gegen sich selbst gerichtet. Sie ist der Meinung, aus irgendeinem Grund selbst schuld daran zu sein, dass sie Ablehnung und Mangel erlebt hat und haelt sich deshalb fuer "boese". Viele Vierer berichten, das sie von einer versteckten Scham regiert werden. In sich gefangene Vierer werden ihre "Bosheit" immer wieder ausleben und dadurch erneut Situationen produzieren, in denen sie abgelehnt oder verlassen werden. Skandaloeses Verhalten uebt einen eigenartigen Reiz auf sie aus; das Dunkle und Verbotene hat eine besondere Anziehungskraft.

Die meisten Vierer sind der Meinung, dass die Normen der Gesellschaft fuer sie nicht gelten. Aufgrund ihres aussergewoehnlichen Leidens fuehlen sie sich meist von Haus aus als Fremdlinge und Aussenseiter. Als solche nehmen sie sich das Recht, ihre eigenen Normen festzulegen. Viele Vierer haben ein elitaeres Bewusstsein. Sie versuchen, besonderen Masstaeben zu genuegen und erleben es als Manko, wenn ihnen das immer wieder misslingt.

Vierer sind leicht zu erkennen. Zunaechst haben sie einen Hang zu ausgefallener Kleidung. Fast alle Vierer demonstrieren ihre melancholische Seite mit einer Vorliebe fuer Farben wie schwarz und violett. Manche neigen auch dazu, sich moeglichst kunterbunt und "verrueckt" anzuziehen. Viele sind Vegetarier, Tierschuetzer, Feministinnen und Anhaenger exzentrischer Gesundheitslehren.

Etwas zu besitzen macht Vierern wenig Freude. Sehnen ist wichtiger als Haben. Sobald sie das Objekt ihrer Begierde endlich besitzen, sind sie in der Regel enttaeuscht. Deshalb koennen sie sehr komplizierte Liebespartner sein. Eine Vier hat mir ihre Geschichte erzaehlt: Als junges Maedchen sehnte sie sich mit allen Fasern ihres Sein nach ihrem zukuenftigen Mann. Sie setzte Himmel und Hoelle in Bewegung, um ihn zu bekommen. Aber am Tag ihrer Hochzeit loesten sich ihre romantischen Gefuehle gleichsam in Luft auf. Es dauerte nicht lange, bis er sie verliess. In diesem Augenblick verliebte sie sich erneut in ihn. Als ihr Mann zurueckkam, passierte folgendes: "Sobald er vor der Tuer stand, hoerte meine Liebe auf. Ich machte ihm Vorwuerfe fuer all das, was er mir angetan hat. Sobald er die Nase voll hatte von meinem Gejammere und sich wieder zum Gehen wandte, erwachte meine Liebe von neuem." Das klingt fuer Aussenstehende grotesk und fast witzig. Aber es ist Teil des schrecklichen Dilemmas, in dem die unerloeste Vier steckt. Sie kann nicht in der Gegenwart leben, die immer voller Makel und Maengel ist. Wenn sich aber ihre Sehnsucht realisiert, gibt es auch daran etwas auszusetzen.

Vierer verehren grosse Autoritaeten: bedeutende Dichter, Musiker, Gurus, Seelsorger, die etwas "Tiefes" haben oder etwas "Besonderes" sind. Nur solche "innere Autoritaet" zaehlt. Formale Autoritaeten, die nicht durch ihre Persoenlichkeit "gedeckt" sind, machen auf eine Vier keinerlei Eindruck. Ihr Gespuer fuer das "Echte" ist untrueglich.

Alle Typen dieser Gruppe haben einen natuerlichen Blick fuer Schoenheit. Deswegen werden viele von ihnen Kuenstler, Musiker, Dichter und Dramatiker. In der Kirche sind sie die Advokaten und Designer kreativer Gottesdienste. Sie haben einen Sinn fuer Liturgie, Ritual und Raumgestaltung. Ihr Stilempfinden laesst den Rest von uns vor Neid erblassen. Die meisten Vierer haben einen ausgesuchten Geschmack. Sie kaufen Bilder nicht bei Woolworth und ihre Kleidung lieber im Second Hand Shop oder in einer Boutique als von der Stange. Sie wuerden lieber sterben, als sich mit billiger Massenware zu begnuegen, wie sie Tausende andere auch tragen. Aber wie wir alle neigen auch sie dazu, ihre Begabung zu uebertreiben und ihre "aesthetische Ueberlegenheit" mit einer gewissen Arroganz andere Menschen spueren zu lassen. Vierer hassen alles, was abgestanden, althergebracht, hausbacken, durchschnittlich, stillos und "normal" ist.

 

Gleichzeitig schielen sie mit heimlichem Neid auf uns Normalverbraucher, die wir nicht mit soviel Klasse und Stil brillieren koennen; Vierer haben einen Hang dazu, die "ungewaschenen Massen"zu idelaisieren und koennen grosse romantische Romane ueber die edlen Armen schreiben (Victor Hugo!). Sie tun das von einer aesthetischen Warte aus und wuerden es in Wirklichkeit kaum aushalten, in realem Dreck und wirklichem Elend zu leben.

Das Lebensprogramm der Vier koennte als ewige Suche nach dem Heiligen Gral beschrieben werden. Der Gral tauchte seit Ende des 12. Jahrhunderts in der altfranzoesichen und provenzialischen Dichtung auf. Der Ueberlieferung nach handelte se sich um das Abendmahlsgefaess Jesu, mit dem auch Joseph von Arimathia das Blut Christi aufgefangen ahben soll.

Der Gral verleiht seinem Besitzer irdisches und himmlisches Glueck, aber nur der "Reine", der dazu bestimmt ist, kann ihn finden. In Wolfram von Eschenbachs "Parzival" (um 1200) ist der Gral ein Stein mit wunderbaren Kraeften, der von Engeln gehuetet und spaeter auf der Burg Munsalvaesche aufbewahrt wird, eine Mischung aus "Tischleindeckdich", und magisch-heiligem Fetisch (der Gral hat seine Kraft von einer Hostie, die ihm an jedem Karfreitag von einer Taube ueberbracht wird). Richard Wagner hat die Gralssage in eigenwilliger Umwandlung in seinen Buehnenweihefestspielen "Parsifal" und "Lohengrin" verwendet.

Ein aehnliches Motiv ist die Suche nach einer bestimmten Blume, wie sie erstmals im Rosenroman auftaucht, Frankreichs Beitrag zur Minne-Allegorie, im Kern verfasst von Guillaume de Lorris (fruehes 13. Jahrhundert). Dieser Roman ist wahrscheinlich (wie Chaucers "Canterbury Tales" und Dantes "Goettlicher Komoedie") sufistisch beeinflusst (Faridduin Attars "Voegel und Blumen" und die "Vogelgespraeche" scheinen Pate gestanden zu haben). Er schildert die Wanderung des Helden durch eine Ideallandschaft zum Liebesgarten, dessen Mauern, mit den Allegorien von Hass, Verrat, Habsucht, Neid, Truebsinn etc. bemalt sind. Im Garten selbst tanzt der Liebesgott unter anderem mit Frauen, die Freigiebigkeit, Tapferkeit und Freimut heissen. Durch Gefahr, ueble Nachrede, Scham, und Furcht wird der Griff zur Knospe nochmals aufgehalten. Selbst als der Held mit Hilfe der Venus endlich den Kuss erlangt, ertoenen wieder die Gegenstimmen von Eifersucht, Scham, Furcht und Gefahr. Aber Frau Mitleid und Frau Schoenheit kommen dem Dichter zur Hilfe.

Dasselbe Motiv kehrt in der romantischen Sehnsucht nach der geheimnisvollen Blauen Blume (Novalis) wieder, die das Streben der menschlichen Seele nach Erfuellung und Ganzheit symbolisiert:

"Er fand sich auf einem weiten Rasen am Rand einer Quelle, die in die Luft hinaus quoll und sich darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht, das ihn umgab, war heller und milder als gewoehnlich, der Himmel war schwarzblau und voellig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunaechst an der Quelle stand und ihn mit ihren breiten, glaenzenden Blaettern beruehrte.... Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie mit unnennbarer Zaertlichkeit..."

Dilemma

Vierer stehen in der Versuchung, sich krampfhaft um Echtheit zu bemuehen. Kinder, die Natur und alles, was eine urspruengliche Originalitaet ausstrahlt, weckt in ihnen die Sehnsucht nach jener Einfachheit und Natuerlichkeit, die sie irgendwann verloren haben. Je mehr eine unerloeste Vier sich anstrengt, authentisch zu sein, desto manirierter wirkt sie auf ihre Umwelt.

Der spezifische Abwehrmechanismus der Vier ist kuenstlerische Sublimierung. Gefuehle werden nicht direkt geaeussert, sondern indirket durch Symbole, Rituale und dramatische Gestaltung ausgedrueckt. Dadurch sollen der Schmerz wirklicher Trauer und die Angst vor Ablehnung gemildert werden. Die unerloeste Vier ist ueberzeugt: "Wer mich direkt sehen wuerde wie ich bin, koennte den Anblick nicht aushalten."

Das fuehrt dazu, dass viele Vierer in ihrer Kunst mehr daheim sind als bei anderen Menchen. Deshalb muessen sie echte Liebesfaehigkeit richtiggehend lernen. Die Begeisterung fuer andere Menschen kann kommen und gehen. Dabei besteht die Gefahr, dass andere nur als emotionale Ausloeser fuer bestimmte Sehnsuechte, Erinnerungen oder Traeume benutzt werden.

Vierer gestalten ihr Leben mitunter wie ein Gesamtkunstwerk. Kleidung, Wohnungseinrichtung, Hobbys, Freundeskreis und Angewohnheiten sind in einer oft zufeallig wirkenden, aber in wirklichkeit wohlinszenierten Weise aufeinander abgestimmt. Aesthetische Gesichtspunkte, die fuer Aussenstehende oft nur schwer einsehbar sind, spielen dabei die Hauptrolle. Klassischer Ausdruck dieser Lebenshaltung ist das, was man Boheme oder Kuenstlermilieu nennt: melancholische Musik, halbverwelkte Blumen, zum Beispiel Rosen oder violetter Flieder (ueber die Affinitaet der Vier zu Tod und Vergaenglichkeit ist noch zu sprechen), Raeucherstaebchen, Tropfkerzen, das Tagebuch neben dem Bett. Viele Vierer lieben lange Nachtgespraeche bei Tee oder Rotwein.

Die Wurzelsuende der Vierer ist der Neid. Sie sehen sofort, wer mehr Stil, mehr Klasse, mehr Geschmack, mehr Talent, mehr ausgefallene Ideen, mehr Genie hat als sie. Sie sehen, wer einfacher, natuerlicher, normaler und "gesuender" ist als sie. Es gibt nichts, worauf eine Vier nicht neidisch sein koennte. Helen Palmer zitiert eine Vier: "Wie kommt es, dass andere Leute scheinbar staendig Haendchen halten und laecheln koennen? Was haben sie gemeinsam- und ich hab es nicht? Du machst Dich auf die Suche nach dem heiligen Gral. Du willst das finden, was dir fehlt. Du bemuehst dich um das, was deine Freunde gluecklich macht und dir entgeht."

Neid kann sich auch als Eifersucht aeussern, sobald es um Beziehungen geht. Vierer leben oft in Angst, jemand anders koennte als Partner attraktiver, origineller und interessanter sein als sie. So selbstbewusst Vierer mitunter auftreten- in ihnen kaempft ein Kind mit seinen Minderwertigkeitsgefuehlen: "Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Ich muss auffallen, damit ich nicht wieder uebersehen und verlassen werde." Deswegen erleben viele Vierer den Bereich enger Beziehungen als Arena des Konkurrenzkampfes.

Vierer vermeiden Gewoehnlichkeit: alles, was gaengig, konventionell und normal ist. Die Forderung, zu sein wie alle anderen, kann bei ihnen geradezu panische Angst ausloesen. Deshalb weigern sie sich meist noch beharrlicher als die anderen Typen, sich zu veraendern. Die Vier sagt: "Es macht mir doch Spass, anders zu sein! Ich will nicht so angepasst sein wie alle anderen!" Durch ihr auffallendes Verhalten haben die Vierer ihren Status, ihren Freundeskreis, ihre Rolle, ihr "Flair" und die Bewunderung vieler Menschen gewonnen. Dieses Spiel wollen sich unerloeste Vierer nicht verderben lassen. Es sei denn, sie schmecken eines Tages seine dunkle Seite. Dann merken sie, dass all das sie daran hindert, wirklich zu lieben; sie sehen, wie egozentrisch sie sind. Aber es dauert meist sehr lange, bis sie bereit sind, ihr Selbstbild aufzugeben. Vierer koennen in dieser Hinsicht stur sein. Sie koennen sich zwar ueber ihre Spleens und Eigenarten, ueber ihr elitaeres Gehabe und ueber ihren Snobismus auf ironische oder sarkastische Weise lustig machen; der Schritt zu wirklicher Selbstkritik ist aber wesentlich schwerer.

Aus (religioesen) Gemeinschaften wurden Vierer in der Vergangenheit oft ausgestossen, weil sie sich nicht angepasst haben. Kloester pflegten bis vor kurzem grossen Wert auf Uniformitaet zu legen. Alle tragen dieselbe braune Kutte. Als ich bei den Franziskanern in Kalifornien ein Seminar ueber das Enneagramm gehalten habe, fiel mir einer sofort als "flammende Vier" auf. Am Ende der Einkehrtage trafen wir uns alle in unserem franziskanischen Habit, um das zusammensein mit einem Gottesdienst abzuschliessen. Ich dachte mir gleich, dass dieser Mann irgend etwas Auffallendes machen wuerde. Und tatsaechlich: Er hatte sich eine grosse rote Rose an die Brust geheftet! Vierer muessen auffallen. Es ist, als ob sie meinen: "Ich weiss nicht, wer ich bin, wenn ich so bin wie die anderen. Ich muss auffallen und auf jeden Fall anders sein."

Die Falle der Vier ist ihre Melancholie oder Schwermut, eine "suesse Traurigkeit", die wie ein Nebel ueber dem ganzen Leben liegt. Vierer muessen ab und zu deprimiert sein und leiden, um gluecklich zu sein. Helen Palmer nennt sie die "tragischen Romantiker". Zitate aus der Epoche der literarischen Romantik belegen es: "Die Melancholie erfasst dich, weil keine Welt da ist, in der du handeln kannst" (Bettina von Arnim); "Die Melancholie ist das Glueck, traurig zu sein" (Victor Hugo). Je groesser die Schmerzen und die Depressivitaet, desto schoepferischer koennen Vierer werden. Ihre Leidenslust wird in unzaehligen poetischen Selbstreflexionen romantischer Literaten aller Zeiten und Kulturen beschworen und beschrieben:

"...und dazu kommt, dass ich eine falsche Schoenheit verspuere in allem, worunter ich leide. Dieser traurige Seelenzustand ist fuer mich eine Fuelle von Schmerzen, Elend und Schrecken, ein offener Weg zur Verzweiflung...Und der Gipfel allen Jammers ist es, dass ich mit einer gewissen stillen Wollust mich an meinen Traenen und Schmerzen weide und nur ungern mich ihnen entreisse" (Franzesco Petrarca, italienischer Dichter, 1304-74).

Mit "Werthers Leiden" (1774), Ausdruck der tragisch-romantischen Sturm- und Drangzeit Goethes, identifizierten sich seinerzeit so viele junge Menschen, dass es zu einer Welle von Suiziden kam.

Vierer haben haeufig eine Affinitaet zum Tod, vielleicht weil es sich um die letzte Klage und die endgueltige Sehnsucht handelt, oder auch, weil nur der Tod die Schoenheit verewigen kann. Grosse Liebesgeschichten muessen aus dramaturgischen Gruenden fast zwangslaeufig mit dem Tod enden. Die Vorstellung, dass Romeo und Julia heiraten, Kinder bekommen und eine ganz "normale" Ehe fuehren, waere zu banal und wuerde die Allgemeingueltigkeit und Groesse ihrer Liebe beeintraechtigen.

Ein anderer Franziskaner, mit dem ich befreundet bin und der ebenfalls eine Vier ist, hat mir folgendes erzaehlt: Als junger Mann pflegte er sich in der Phantasie seinen Tod detailliert auszumalen. Der Tag seines Todes muesste aesthetisch vollkommen sein. Er wollte warten, bis einige Menschen, die er liebte, ihn zutiefst verletzt haetten. Auf diese Weise koennte er sie endgueltig bestrafen. Es musste unbedingt Fruehjahr sein! Dann wuerde er unter einem bluehenden Kirschbaum stehen und den Giftkelch trinken. Er wuerde in sich zusammensinken und die Kirschblueten wuerden sachte auf seinen Leib rieseln. Mein Freund waere kaum auf die Idee gekommen, diese Phantasie zu realisieren; aber solche morbiden Traumspiele sind Vierern nichts Ungewoehnliches.

Romantische Gedichte sind daran zu erkennen, dass sie um Liebe, Schoenheit und Tod kreisen. Alle anderen Themen sind nicht "gross" genug:

Tristan

Wer die Schoenheit angeschaut mit Augen,

Ist dem Tode schon anheimgegeben,

Wird fuer keinen Dienst der Erde taugen,

Und doch wird er vor dem Tode beben,

Wer die Schoenheit angeschaut mit Augen.

Ewig waehrt fuer ihn der Schmerz der Liebe,

Denn ein tor nur kann auf Erden hoffen,

Zu genuegen einem solchen Triebe:

Wen der Pfeil des Schoenen je getroffen,

Ewig waehrt fuer ihn der Schmerz der Liebe.

Ach, er moechte wie ein Quell versiechen,

Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen,

Und den Tod aus jeder Blume riechen:

Wer die Schoenheit angeschaut mit Augen,

Ach, er moechte wie ein Quell versiechen. (August Graf von Platen, 1796-1835)

Weil Vierer ihre Aggressionen in der Regel gegen sich selbst richten, geschieht es haeufig, dass sie sich vor sich selbst und vor ihrem Koerper ekeln. Obwohl sie meistens sehr schlank und attraktiv sind, neigen sie dazu, sich zu dick und haesslich zu finden. Immer wieder neue Diaetplaene werden ausprobiert; die Neigung zur Magersucht ("Anroexia") tritt bei Vierer-Frauen relativ haeufig auf.

Vierer brauchen Freunde und Partner, die bei ihnen aushalten, ohne sich in die Stimmungsschwankungen der Vier hineinziehen zu lassen; sie brauchen die Erfahrung einer Treue, die sich nicht beirren laesst. Die Partnerschaft mit einer unerloesten Vier ist allerdings aufreibend und erfordert viel Toleranz. Da die Gegenwart- einschliesslich des anwesenden Partners- fuer diese Vier in erster Linie mangelhaft ist, kann es sein, dass der Partner permanemt aetzender Kritk ausgesetzt ist. Da er anwesend und daher leicht zu haben ist, wirkt er wenig attraktiv. Das kann so weit fuehren, dass die Vier impotent ist oder sich sexuell verweigert. Der Partner einer unerloesten Vier ist einem Wechselbad von Verfuehrung und Zurueckweisung ausgesetzt. Entzieht er sich, wird er mit allen Mitteln zurueckgelockt. In extremen Situationen kann das mit dramatischen Szenen bis hin zu Selbstmorddrohungen verbunden sein. Ist der Partner verfuegbar, treten seine Fehler und Maengel erneut ins grelle Licht. Es ist wie ein einstudierter Tanz: "Machst du einen Schritt nach vorn, mach ich einen Schritt zurueck! Machst du einen Schritt zurueck, mach ich einen Schritt auf dich zu!"

Die Liebesaffaere des daenischen Philosophen Søren Kierkegaard (1813-1855, Vier) mit Regine Olsen spiegelt die Tragik dieser "Veranlagung". Er loeste die Verlobung nach einem Jahr auf, weil er meinte, er duerfte Regine mit seiner Schwermut nicht belasten. Die Verarbeitung dieser inneren Situation fuehrte zu seinen ersten aesthetischen Werken.

Das "normale" stille Glueck, wie es viele andere- scheinbar- geniessen, erscheint einer Vier attraktiv und abstossend zugleich. Es koennte ja das Ende jener suessen Wehmut sein, die die Vier braucht, um sich "identisch" zu fuehlen. Der innere Reichtum der Melancholie scheint attraktiver zu sein als das, was andere leichtfertig "Glueck" nennen. Rainer Maria Rilke zum Beispiel- auch eine Vier- weigerte sich trotz schwerwiegender psychischer Stoerungen beharrlich, eine Therapie anzufangen. Er fuerchtete, sein wahres Selbst koennte durch die Behandlung zerstoert werden und mit den Teufeln koennten ihn auch die Engel verlassen.

Viele Vierer schwanken zwischen Phasen uebertriebener Aktivitaet und solchen, in denen sie sich zurueckziehen und wie gelahmt sind. Diese "manisch-depressive" Grundstruktur kann bei einigen, die sehr introvertiert sind (staerkerer Einfluss des Fuenfer-Fluegels), zu einer insgesamt depressiven Struktur werden; Vierer, deren erfolgsorientierter, extravertierter Dreier-Fluegel dominant ist, sind dagegen haeufig ueberaktiv. Diese beiden "Untertypen" der Vier sehen sich auf den ersten Blick nicht sehr aehnlich.

Die Depressivitaet einer unerloesten Vier ist etwas anderes als normale Trauer, wie sie alle anderen Menschen erleben. Sie ist verbunden mit dem Gefuehl der Einmaligkeit und groesse des eigenen Leidens und mit der Unwilligkeit, sich helfen zu lassen. Hinter dem Vorwand, man wuerde ja doch von keinem verstanden werden, versteckt sich die Weigerung zu trauern. Gerade so wird das Verlorene krampfhaft festgehalten.

Viele Vierer nehmen ihre Gefuehle sehr ernst und sind tief gekraenkt, wenn sie "verletzt" werden. Kritik an ihren kuenstlerischen Aeusserungen kann sie im Innersten treffen und in den Rueckzug treiben. Dagegen haben sie oft den Hang, sich selbst herunterzumachen. Kritik am Bild eines Malers, der eine Vier ist, darf aber nur er selbst ueben.

Hollywood ist ein Eldorado der Vierer. Theater und Film sind ihre Domaene, weil Vierer das gesamte Leben als grosse Buehne betrachten. Die Oskars teilen sie sich mit ein paar erfolgreichen Dreiern. Marylin Monroe, Marlon Brando und James Dean sind beruehmte Vierer unter den Leinwandstars.

Die Biographie von James Dean (1931-1955), dem Darsteller jugendlicher Rebellen, ist fast paradigmatisch: Mit acht Jahren verliert "Jimmy" seine Mutter, die ihm Tanz- und Geigenunterricht hatte geben lassen. Als junger Mann erlebt er eine steile Theater- und Filmkarriere. Menschlich entwickelt er sich zum enfant terrible. Er kann sich am hellichten Tag auf einen Sessel mitten auf der Strasse setzen und das Hupkonzert der Autofahrer geniessen. Es gibt Photos, wo er in einem Beerdigungsinstitut in einem Sarg sitzt. Immer und ueberall hat er seine Bongos dabei, deren Laerm die Aufmerksamkeit der Umgebung auf sich zieht.

Seine Unklarkeit, Raetselhaftigkeit und Undurchsichtigkeit benutzt er, um einen Mythos zu kreieren: "Wir sind Fische und wir ertrinken. Wir bleiben in unserer Welt und wundern uns. Den Gluecklichen wird gelehrt zu fragen, warum. Niemand weiss eine Antwort darauf." Leichtsinn und Risikofreude- ein Zug, den ebenfalls viele Vierer gemeinsam haben- zeigt sich bei ihm in seiner Vorliebe fuer Motorraeder und schnelle Autos. Er selst faehrt bei Autorennen mit: "Das ist der einzige Augenblick, in dem ich mich als Ganzes empfinde." Mit 24 Jahren kommt er bei einem Autounfall ums Leben, den er durch erhoehte Geschwindigkeit verursacht hat. Obwohl er nur drei Filme gemacht hat, entsteht um ihn nach seinem Tod ein Kult, der bis heute anhaelt.

Schillernde Gestalten wie Dean laden andere dazu ein, eigene Traeume in sie hineinzuprojezieren. Ihre Unklarheit zieht ungeklaerte Beduerfnisse und Wuensche anderer magnetisch an. Die Faehigkeit, viele Charaktere zu verkoerpern und dennoch selbst im Nebel zu bleiben, macht viele Vierer anziehend und gefaehrlich. Wenn man nach ihnen greifen und sie persoenlich beruehren will, kann es geschehen, dass man ins Leere fasst.

Marylin Monroe (1926-1962) wuchs als Waisenkind auf, wurde mit neun Jahren vergewaltigt und wollte sich- als Verkaeuferin- mit 16 Jahren zum ersten Mal das Leben nehmen. Der ihr seelenverwandte Dichterpriester Ernesto Cardenal (ebenfalls eine Vier) schildert in seinem ergreifenden "Gebet fuer Marylin Monroe", wie das Maedchen als Kind getraeumt habe, "dass sie nackt in der Kirche stand...vor einer knienden Menge, die Koepfe geneigt bis zur Erde, und sie musste auf Zehenspitzen gehen, um die Koepfe nicht zu zertreten." Cardenal betet: "Herr, in dieser Welt, die verseucht ist von Suende und Radioaktivitaet, sprichst du eine kleine Verkaeuferin nicht schuldig, die davon traeumt, ein Filmstar zu sein...Sie hungerte nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel. Gegen die Traurigkeit, nicht heilig zu sein, empfahl man ihr die Psychoanalyse...Ihre Liebesabenteuer waren ein Kuss mit geschlossenen Augen- und wenn man die Augen oeffnet, bemerkt man, dass es nur ein Filmkuss war."

Die Gabe oder Geistesfrucht der erloesten Vier heisst Ausgeglichenheit. Mit fuenfundzwanzig haben Vierer bereits alle emotionalen Raeume und Erfahrungen von der Agonie bis zur Ekstase durchlebt. Sie kennen alle Gefuehlsnuancen und verstehen die menschliche Seele und ihre Abgruende besser als irgend jemand sonst. Wenn sie die Disziplin aufbringen, ihr Gefuehlsleben in die Balance zu bringen, koennen sie beeindruckende Persoenlichkeiten werden. Disziplin ist es, die den Unterschied zwischen einem zweitklassigen "verkannten Genie" und einem wirklichen Kuenstler ausmacht. Eine grosse Vier konzentriert und diszipliniert ihre Emotionen, kann sich von ihnen distanzieren und sie auf diese Weise laeutern. Ausgeglichenheit bezeichnet diese tiefe, balancierte und nuancierte Emotionalitaet. Eine gelaeuterte Vier kann sensibel mit dem wirklichen Leben umgehen- und nicht nur mit ertraeumten Dramen. Sie muss sich nicht mehr in ihren Gefuehlen baden und sie bis zum letzten auskosten. Sie muss nicht mehr mit ihren Stimmungen spielen und sie allen Mitmenschen aufdraengen.

Gesunde Vierer sind zu einer Gefuehlstiefe faehig, zu der die meisten von uns keinerlei Zugang haben. Wenn sie diese echte Emotionalitaet fruchtbar machen koennen, wenn sie ihren Sinn fuer das Schoene und fuer das wirklich Schmerzhafte konzentriert ausdruecken koennen, dann entstehen wirkliche Kunstwerke. Sie dienen nicht mehr der Selbstdarstellung, sondern druecken Allgemeingueltiges aus. William Shakespeare und T.S. Eliot sind Beispiele fuer Dichter, bei denen die grossen Emotionen so gelaeutert und diszipliniert geformt worden sind, dass sie fuer alle Zeit "gueltig" bleiben.

Erloeste Vierer koennen besser als die meisten anderen jene Mitmenschen verstehen und begleiten, die in seelischer Not sind. Sie haben keine Angst vor schwierigen, komplizierten oder dunklen Gefuehlen anderer, da sie das alles selbst durchlebt haben.

Symbole und Beispiele

Eines der Symboltiere der Vier ist die Morgentaube mit ihrem Klagen und Gurren. Wenn es einen Sprachstil gibt, an dem Vierer zu erkennen sind, dann ist es das sehnsuechtige Klagen oder das Lamento. Ein weiteres Tier ist der Basset, jener kurzbeinige franzoesische Jagdhund mit seinen haengenden Ohren und seinen traurigen Triefaugen. Die Augen der meisten Vierer spiegeln eine unbestimmte Traurigkeit wider, die sie selbst meist gar nicht wahrnehmen. Selbst wenn sie laecheln, ist es oft ein "Laecheln unter Traenen". Das edle schwarze Rassepferd symbolisiert die kuehle Aesthetik der Vier.

Erloeste Vierer werden mit der Auster verglichen, die von alters her ein Symbol der Melancholie ist. Die Auster verwandelt Schmutz in Perlen; ebenso ist eine gelaeuterte Vier in der Lage, das Negative und die Verlusterfahrungen ihres Lebens in etwas Schoenes und Allgemeingueltiges zu verwandeln. Der Dichter Robert Musil drueckt es so aus: "Das Schreiben ist wie die Perle einer Krankheit."

Vierer sind oft frankophil. Frankreich ist ihr Symbolland. Es weigert sich von jeher, ein Land wie alle anderen zu sein. Die Franzosen sind immer etwas Besonderes. Die franzoesische Mentalitat wirkt auf Nicht-Franzosen raffiniert, kultiviert und etwas elitaer. Die Franzosen entwickelten eine Haute Cuisine und eine Haute Couture. Alles muss "hoch" und ausgefallen sein. Es soll Vierer geben, die mit einem manierierten fanzoesischen (oder mitunter auch britischen) Akzent sprechen.

Die Farbe der Vier ist das Hellviolett der Malve. Ihre Toenung ist nicht genau festgelegt, schillernd und aussergewoehnlich, melancholisch und mystisch- zwiespaeltig. Violett ist die liturgische Farbe der Passionszeit, der Zeit des Fastens und der Buße, der Wandlung durch Schmerz und Tod. Goethe verband in seiner Farbenlehre sogar den Schrecken des Weltuntergangs mit ihr: "Violett ist sowohl Symbol der hoechsten Verzueckung der Seele, ... als auch ihrer dunkelsten und schmerzhaftesten Momente... In seinen Schwingungen beruehren sich Passion und Rausch, Befreiung und Verfall, Tod und Auferstehung, Leid und Erloesung, Sucht und Laeuterung, die mystische Schau und der Wahn." Violett ist die androgyne Farbe; sie vermittelt zwischen Rot (maennlich) und Blau (weiblich). Die erloeste Vier verkoerpert Synthese, Vermittlung und Ausgleich.

In der Bibel begegnet uns die Energie der Vier in sehr unterschiedlichen Zusammenhaengen: Sulamith, die legendaere Geliebte des Koenigs im Hohelied Salomos, verkoerpert die sehnsuechtige Liebesromantik der Vier:

Mit den Kuessen seines Mundes soll er mich bedecken. Suesser als der Wein ist deine Liebe! Mein Geliebter ruht wie eine Tasche voller Myrrhe an meinem Busen, wie eine Hennabluete ist er fuer mich aus den Weinbergen von En-Gedi. Schoen bist du, mein Geliebter. Unser Lager ist das frische Gruen der Wiese, Zedern sind das Dach unseres Hauses, Zypressen sind die Waende. Des Nachts in meinem Bett da suchte ich ihn. Ich sehnte mich nach ihm, den meine Seele liebhat. Ich verzehrte mich nach ihm und fand ihn nicht. Ich beschwoere euch, Toechter Jerusalems: wenn ihr meinen Geliebten findet, dann sagt ihm, dass ich krank bin vor Liebe. Mein Geliebter ist anders als tausend andere. Sein Haupt ist reines Gold, seine Locken sind rabenschwarze Rispen, seine Augen gleichen Trauben am Wasser, seine Lippen gleichen den Lilien, sie tropfen von fluessiger Myrrhe. Sein Leib ist wie aus Elfenbein, besetzt mit Saphiren. Die Schenkel sind wie Marmorsaeulen auf goldenen Sockeln. Sein Mund ist voller Suesse; alles ist Wonne an ihm. Das ist er: mein Geliebter, mein Freund, ihr Toechter Jerusalems. Seine Linke liegt unter meinem Kopf, seine Rechte umfaengt mich. Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, nimm mich wie ein Siegel in den Arm! Stark wie der Tod ist die Liebe. Gewaltig wie die Unterwelt brennt die Leidenschaft. Auch maechtige Wasser koennen die Liebe nicht loeschen. (Aus Hohelied Salomos)

Es ist offensichtlich, dass kein real existierender Mann, nicht einmal der Koenig Salomo, dieses Idealbild ausfuellen kann!

Joseph ist der vorletzte Sohn Jakobs und sein Liebling; deshalb laesst ihm der Vater einen "bunten Rock" schneidern. So ist er von Anfang an etwas "Besonderes". Seine Brueder beneiden ihn wegen seiner Sonderstellung. Eines Tages traeumt Joseph davon, wie alle zwoelf Brueder auf dem Feld sind und Garben binden. Nur Josephs Garbe bleibt aufrecht stehen, waehrend sich die Garben der Brueder vor ihm verneigen. Ein anderes Mal traeumt er, wie elf Sterne, Sonne und Mond vor ihm niederfallen. Er erzaehlt seine Traeume und macht sich dadurch bei seinen Bruedern noch unbeliebter. Sie beschliessen, ihn aus dem Weg zu raeumen.

Erst wollen sie ihn umbringen, dann aber verkaufen sie ihn in die Sklaverei nach Aegypten. Sie zerreissen seinen bunten Rock und traenken die Fetzen in Tierblut. Dem Vater erzaehlen sie, ein wildes Tier haette Joseph zerfleischt.

In Aegypten geraet Joseph ins Haus Potiphars, eines hohen Beamten. Den amouroesen Avancen der Hausherrin entzieht er sich; sie bringt ihn dafuer ins Gefaengnis. Auch hier geniesst er bald eine Sonderstellung. Als zwei Hofbeamte, die ebenfalls eingesperrt sind, beunruhigende Traeume haben, deutet er sie. Als spaeter auch der Pharao Traeume hat, die keiner seiner Weisen auslegen kann, erinnert sich einer seiner Hofleute an Joseph. Er wird aus dem Gefaengnis geholt und sagt dem Pharao sieben fette und sieben magere Jahre voraus.

Daraufhin wird Joseph zum Premierminister ernannt und erhaelt den Auftrag, Getreidevorraete anzulegen. Als die mageren Jahre kommen, erscheinen auch seine Brueder in Aegypten, um Korn zu kaufen. Sie erkennen ihn nicht. Mit der dramatischen Begabung der Vier inszeniert Joseph die Versoehnung und Familienzusammenfuehrung. Dabei zieht er alle Register seines Verstellungsspiels, bis es endlich zu jenem Happy-End kommt, das in der Bibel nachzulesen ist (1. Mose/ Genesis 37-50).

Auch eine Reihe der grossen Propheten Israels haben einen "Vierer-Zug". Er aeussert sich vor allem in ihren ungewoehnlichen Zeichenhandlungen. Jesaja lief jahrelang nackt durch Jerusalem, um darauf hinzuweisen, dass eines Tages die Aegypter und Aethiopier, die Verbuendeten Israels, nackt und "mit entbloesstem Gesaess" nach Assyrien verschleppt werden wuerden. Hosea heiratete eine Hure. Seine Ehe ist ein Gleichnis fuer die Treulosigkeit des Volkes gegenueber Jahwe, weil es anderen Goettern dient. Jeremia bleibt ehelos, um durch seine Einsamkeit die Einsamkeit Gottes darzustellen, dessen Liebe von Israel nicht erwidert wird. Seine erschuetternden Klagen gehoeren zu den aeltesten Texten der Menschheit, in denen ein Individuum seine seelische Befindlichkeit so direkt reflektiert und formuliert.

Umkehr und Erloesung

Die Einladung zur Erloesung, die an die Vier ergeht, ist der Ruf zur Urspruenglichkeit. Vierer finden ihre Natuerlichkeit auf dem Weg der Vereinigung mit Gott. Ihr Streben nach Echtheit, ihre Liebe zu Kindern und zur Natur sind erste Hinweise auf dieses Lebensziel. Wenn sie zulassen koennen, dass sie "in Gott" leben und Gott "in ihnen", gelangt ihre Seele zur langersehnten Ruhe und Ausgeglichenheit.

Zu den Lebensaufgaben der Vier gehoert es, einen gesunden Realismus zu entwickeln und die Sehnsucht auf erreichbare Ziele zu richten. Vierer muessen daran arbeiten, das ihre Aufmerksamkeit in der Gegenwart bleibt und nicht staendig in die Vergangenheit oder Zukunft abschweift. Die Vier muss ihre Energie finden, ohne staendig von einem Extrem ins andere zu fallen, ohne abwechselnd himmelhochjauchzend und zu Tode betruebt zu sein. Es muss nicht immer Euphorie oder Depression sein. Ihr "objektiver Betrachter" hat die Aufgabe zu fragen: "Reicht nicht ein bisschen Freude und ein bisschen Traurigkeit- wenigstens ab und zu?"

Unerloeste Vierer lieben Rituale mehr als die Realitaet. Sie verklaeren ihre Erinnerungen, die schoener sind als es das tatsaechliche Ereignis war. Deswegen ist es noetig, dass sie sich der Realitaet stellen. Inkarnation ist angesagt, das heisst: Annahme der Wirklichkeit, selbst wenn sie haesslich und schmutzig ist. Dort wird die Vier wirklich zu sich finden. Deswegen tut Vierern soziales Engagement und der Einsatz fuer Frieden und Gerechtigkeit gut. Denn dabei muessen sie sich mit dem Schmutz der Welt befassen, der sich nicht aesthetisch verklaeren laesst.

Zur Erloesung der Vier ist es notwendig, dass sie sich den realen Verlusterlebnissen ihres Lebens stellt, die Wut gegen die betreffende Bezugsperson zulaesst und aufhoert, diese nachtraeglich zu beweihraeuchern. Die "Unfaehigkeit zu trauern" (Alexander Mitscherlich) verhindert wirkliche Befreiung. Paulus schreibt besonders den melancholischen Vierern ins Stammbuch: "Es gibt eine gottgewollte Traurigkeit, die eine innere Veraenderung zum Heil bewirkt und nicht bereut zu werden braucht. Es gibt aber auch eine weltliche Traurigkeit, die zum Tode fuehrt" (2. Korinther 7, 10).

Vierer, die umkehren wollen, kommen nicht umhin, ihren Snobismus und ihr (verstecktes) Elitebewusstsein kritisch unter die Lupe zu nehmen. Anstatt sich mit anderen zu vergleichen, sollten sie die eigenen inneren Schaetze dankbar zur Kenntnis nehmen und mit anderen teilen. Um all das zu trainieren, brauchen Vierer ein Netzwerk von Menschen, die sich von ihnen nicht manipulieren lassen, sondern "objektiv" bleiben und "echte" Mitteilungen fordern.

Ohne die Vierer waere die Welt um den groessten Teil ihrer Kunst und Poesie aermer. Wenn sie es lernen, mit ihren Gaben anderen zu dienen, dann werden sie einen wirklichen Beitrag dazu leisten, dass dies Welt "durch Schoenheit erloest" wird.

Daniel Berrigan und Thomas Merton sind unsere "Heiligen", die Patrone der erloesten Vier:

Der Jesuitenpater Daniel Berrigan hat die christliche Friedensbewegung in den USA inspiriert wie kein anderer. Seine Aktionen waren so angelegt, dass sie auffallen mussten. Sie waren immer symbolisch, illegal und gewaltfrei. Waehrend des Vietnamkriegs hat Berrigan die oeffentliche Verbrennung von Stellungsbefehlen inszeniert. Ein andernmal ist seine Gruppe ins Pentagon eingedrungen:

"Einige verteilten Flugblaetter und sprachen mit den Angestellten des Pentagons. Einige verkleideten sich und spielten die Rolle von Todesgespenstern. Sie gingen durch die Sitzungsraeume des Pentagons, durch die Laeden, durch die Restaurants und die Bankraeume, die sich unter den Militaerbueros befinden. Sie sangen: Tod- Tod- Tod; die Bombe- die Bombe- die Bombe! Wieder andere gossen Blut aus, unser eigenes Blut, das uns vorher von einer Krankenschwester aus unserer Gruppe kunstgerecht abgezapft worden war. Das Blut wurde an die Saeulen gegossen, an die Waende, an die Eingaenge, auf den Boden- eine schreckliche Menge Blut, das ueberall heruntertropfte. Auch Asche streuten wir aus: Das Verbrennen der Lebenden. Einige Leute fielen wie tot in das Blut und die Asche. Wir trugen ein Kreuz, auf dem die Namen verschiedener Waffen geschrieben waren, wie Trident, Cruise misslie, ... Neutronenbombe, Napalm- diese ganze Todesmaschinerie."

Berrigan hat die Vierer-Energie benutzt, um der Menschheit zu dienen. Kein anderer waere auf den Gedanken gekommen, Protest derart drastisch und schoepferisch zu artikulieren. Berrigan stellt seine Sehnsucht und seine Lust zur Inszenierung in den Dienst von Frieden und Gerechtigkeit, anstatt nur sein eigenes schoepferisches Selbst zur Schau zu stellen.

Der Dichter Thomas Merton (1915-1968), der schliesslich Trappistenmoench wurde, entstammte einer Kuenstlerfamilie und wurde in Prades (Frankreich) geboren. Mit sechs Jahren verlor er die Mutter und begann, mit dem Vater ein unstetes Wanderleben zu fuehren: Bermudas, USA, Frankreich, England. Mit 16 verlor er auch den Vater: "So wurde ich zu einem vollendeten Menschen des 20. Jahrhunderts."

Nach dem Schulabschluss beginnt Merton mit dem Studium in Camridge und ist bald bekannt fuer seine Kneipentouren, seine frechen Krikaturen und seine "Weibergeschichten" (ein uneheliches Kind aus dieser Zeit stirbt spaeter bei einem Bombenangriff auf London).

Gleichzeitig ueberkommt ihn ein wachsender Ekel vor sich selbst. Er geht 1934 in die USA, zieht in die Naehe Harlems, schliesst sich der kommunistischen Partei an und beginnt gleichzeitig, sich mit religioesen Themen zu befassen. Ein hinduistischer Studienfreund empfiehlt ihm, Augustinus und Thomas a Kempis zu lesen.

1938 empfaengt er die katholische Taufe- seinen Freunden erscheint es zunachst, als waere das nur ein weiterer seiner Spleens. Aber er meint es ernst und will Franziskaner werden. Als er dort seine Lebensgeschichte ungeschminkt erzaehlt, wird er abgelehnt, was ihn tief trifft. Aber er gibt nicht auf. Er lebt wie ein Moench, gibt das Rauchen auf, macht Exerzitien im strengsten Kloster des Landes, der Trappistenabtei Gethsemani/Kentucky, wo neben allen anderen Geluebden strengstes Schweigen gepflegt wird.

In dieses Kloster nimmt man ihn 1941 als Bewerber auf. Fuenf Jahre spaeter erscheint seine Autobiogtaphie "Der Berg der sieben Stufen" und wird ein sensationeller Erfolg. Sie spiegelt die radikale Weltverachtung eines jungen (und anfangs sehr fanatischen) Moenches und wird mit Augustinus‘ "Bekenntnissen" verglichen. In den naechsten dreissig Jahren folgen etwa sechzig weitere Buecher.

Das Klosterleben wird fuer Merton immer schwerer. Sein Abt meint, er nehme seine subjektiven Gefuehle zu ernst; schliesslich verbietet ihm der Orden sogar das Schreiben. Immerhin wird er Novizenmeister. Seine Buecher haben hunderte von jungen Maennern angelockt, dieses radikale Leben der Arbeit und des Gebetes selbst auszuprobieren. Sie lieben und verehren ihn, der es ablehnt, sturen Regelgehorsam zu vermitteln, sondern mit Waerme und Liebe die Einzelpersoenlichkeit foerdert. Ernesto Cardenal ist einer seiner Schueler.

Merton versteht Moenche als Leute, die Gott suchen und das "falsche Selbst" ueberwinden wollen, indem sie auf Lebensluegen und kuenstliche Sicherheiten verzichten: "Wir sollten uns nackt und wehrlos in die Mitte jener Angst fuehren lassen, wo wir allein in unserer Nichtigkeit vor Gott stehen."

Gleichzeitig wird er immer politischer, schreibt Aufsaetze gegen die kirchliche Lehre vom "gerechten Krieg" und gegen den amerikanischen Militarismus. Als er den Vietnamkrieg angreift, veruebt man einen Mordanschlag auf ihn, dem er nur knapp entgeht.

Nach langem Kampf mit dem Abt kann er durchsetzen, dass er sich im Wald eine- recht komfortable- Klause bauen darf. Er beginnt zu lesen, zu schreiben, Besucher zu empfangen. Anlaesslich eines Krankenhausaufenthaltes kommt es zu einer tief empfundenen Liebesbeziehung mit einer Krankenschwester. Aber er ist noch immer nicht zufrieden. Er traeumt von einer noch einsameren Eremitage in Alaska; es zeiht ihn schliesslich in die Laender des Ostens, weil ihn die Vision einer Synthese von Christentum und Buddhismus nicht mehr loslaesst.

1968 darf er zu einer Ordenskonferenz nach Bangkok reisen; er begegnet auf dieser Reise Sufi-Mystikern, Zen-Buddhisten und dem Dalai Lama. Beide Maenner sind tief voneinander beeindruckt. An einem defekten Heizkoerper im Hotelzimmer zieht sich Merton einen toedlichen elektrischen Schlag zu. Die Ironie des Schicksals will es, dass ausgerechnet eine amerikanische Militaermaschine seine sterblichen Ueberreste in die USA zurueckbringt.

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